Ist die Zutat der asiatischen Küche krebserregend? Was fördert sonst die Entstehung von Magenkarzinomen? Das erforscht die TU in einer Kooperation
Japanisches Essen ist gesund, oder?”, fragte der Regisseur Marcus H. Rosenmüller vor einer Weile in einem Interview Doris Dörrie, ebenfalls Regisseurin, fast 20 Jahre älter als Rosenmüller und eine, die oft und gern nach Japan reist. “Ach, die haben alle Leberkrebs. Und Magenkrebs. Von der Sojasauce”, entgegnete sie ihm. “Ich mag ja Sojasauce”, erklärte darauf Rosenmüller. Muss man sich jetzt Sorgen um ihn machen? Ist Sojasauce wirklich krebserregend? Diese Frage will Markus Gerhard, Professor für Medizinische Mikrobiologie und Immunologie an der TU München, nicht bejahen. So einfach lässt sich die Entstehung von Tumoren nicht erklären. Magenkrebs ist weltweit die dritthäufigste krebsbedingte Todesursache. Und in manchen Teilen Asiens findet man weit mehr Menschen mit Karzinomen im Magen als beispielsweise in Deutschland. Aber deshalb Sojasauce zu verdammen oder auf Sushi zu verzichten, das geht Gerhard zu weit. Mitte Oktober erst ist er von einer Reise nach Peking zurückgekehrt, die Einweihung eines Labors und traditionell gewürzte Gerichte inbegriffen.
Der Wissenschaftler beschäftigt sich seit 20 Jahren mit dem Thema. Nicht mit Sojasauce, sondern mit wesentlichen Faktoren, die für Magenkrebs verantwortlich sein können. Es ist das Bakterium Helicobacter pylori, das zu den größten Risikofaktoren zählt. Der Keim begleite uns seit 60 000 bis 100 000 Jahren, sagt Gerhard. Mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung tragen diesen Erreger in sich. Die wenigsten Menschen wissen darum, und letztlich sind es nur wenige, die Magenkrebs oder eine Vorstufe entwickeln. Wer allerdings erkrankt ist, für den stehen die Chancen auf Heilung nicht immer gut. “Etwa 80 Prozent der Patienten mit Magenkrebs sterben an diesem Tumor”, sagt Gerhard. Denn der Tumor spreche eher schlecht auf Behandlungen an. Jedenfalls im Moment noch. Aber Humanmediziner wie Markus Gerhard, 50, forschen intensiv weiter – und sie teilen ihre Ergebnisse.
Die TU München und die Peking Universität haben gerade ein neues Labor in der chinesischen Hauptstadt eröffnet, in dem große Mengen von Analyseproben schnell und nach hohen Standards untersucht werden können. Man kooperiert schon seit Jahren und hat nun einen gut ausgestatteten Ort für ein internationales Team aufgebaut. “Wir wollen eine Art Nukleus sein auch für andere Länder, die daran forschen”, sagt Gerhard. Auf Augenhöhe, ohne Konkurrenzgedanken, betont er. Weltweit gebe es etwa 50 Arbeitsgruppen, die sich mit Magenkarzinomen beschäftigen. Die TU und die Peking Universität werden eine klinische Studie mit etwa 20 000 Teilnehmern durchführen. Bei dem Großprojekt werden Menschen untersucht und begleitet, die mit Helicobacter pylori infiziert sind. Man hat dafür zwölf gemeinsame Forschungsjahre geplant mit gegenseitigen Besuchen, teamfördernde Ausflüge zum Oktoberfest und auf die Chinesische Mauer nicht ausgeschlossen.
Aus Münchner Sicht bestechen die Möglichkeiten, die sich für die TU-Wissenschaftler in dieser Zusammenarbeit auftun. Es gibt in China viel mehr Menschen. Entsprechend gibt es mehr Probanden, die in Forschungsprojekte eingebunden werden können. “Wir bekommen in Deutschland nicht genug Patienten zu sehen”, sagt Gerhard. Ihn beschäftigt, wer Karzinome entwickelt, warum und zu welchem Lebenszeitpunkt sie entstehen, und wie man sie eventuell verhindern kann. Bestimmte Lebensmittel wie gepökeltes Fleisch, scharfe Gewürze und generell die Verwendung von viel Salz könnten sich begünstigend auf die Tumorbildung auswirken. Vielleicht auch Sojasauce. Eben dann, wenn das Bakterium im Magen wohnt. Genaueres will man mit dem nun angestoßenen Langzeitprojekt zu Tage bringen, in der Hoffnung, noch mehr über diese Krebsart zu erfahren.
Man weiß heute schon, dass von 100 mit Helicobacter pylori infizierte Menschen durchschnittlich nur etwa eine Person eine bösartige Geschwulst entwickelt. Bekannt ist auch, dass die Bakterien meist in der frühen Kindheit durch Speichel übertragen werden. Und es ist klar, dass bei der Infektion Hygienebedingungen eine Rolle spielen, aber auch genetische Anlagen wesentlich sind. Bekämpfen lässt sich das Bakterium theoretisch mit Antibiotika. Sofern der Behandelte nicht resistent ist. Leichtsinnige Gaben von Antibiotika sind also auch in puncto Magenkarzinom riskant. Vom 50. Lebensjahr an empfiehlt Gerhard eine Magenspiegelung für enge Verwandte Magenkrebskranker.